Geboren in Löbau, 1963
Lebt und arbeitet in Pratzschwitz und Dresden.


Thomas Baumhekel

Der Dresdner Künstler Thomas Baumhekel schreibt chinesische Zeichen. Dabei ist er weder mit der chinesischen Sprache aufgewachsen, noch hat er dieselbe in der herkömmlichen Weise studiert. Er erlag der Faszination der Schriftzeichen aufgrund ihrer formalen Struktur und näherte sich zunächst über die Form dem Inhalt. Das heißt nicht, dass er die Texte, die er zu Papier bringt – meist daoistischen oder buddhistischen Inhalts – nicht bewusst auswählt.

Bereits während des Studiums der Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden entwickelte er eine eigentümliche Bild- und Zeichensprache, einen graphischen, linienbetonten Stil, in dem kyrillische Buchstaben ebenso ihren Platz hatten wie archaische Bildchiffren, die an neolithische Felszeichnungen oder auch an Art Brut erinnern. Sein Diplom, das den Titel (Perechod, ‚Übergang’) trägt, spielt mit den Buchstaben des kyrillischen Alphabets, kombiniert sie zu Schrift-Bildern und wandelt gelegentlich Buchstaben in Bild-Zeichen um. Zweifellos ist es die Beschäftigung mit diesem Grenzbereich zwischen Schrift und Bild, die Thomas Baumhekel Anfang der 1990er Jahre auf die Spur der chinesischen Zeichen bringt. Dieselben erscheinen ihm als das ideale Medium zur Beschreibung der Wirklichkeit. Zeichen gleich welcher Art, argumentiert der Künstler, sind wie ein Gefäß, das jeder mit seinen eigenen Erfahrungen und Vorstellungen füllen kann. Ein Zeichen gibt das Ding oder den jeweiligen Zusammenhang, für das es steht, viel klarer wieder als jedes noch so realistische Abbild, das die Komplexität der Wirklichkeit letztendlich doch nie erreichen kann.

Das Refugium chinesischer Texte und Schriftzeichen bedeutet dabei keineswegs Weltflucht. Thomas Baumhekel sieht in der Kunst, im Gezeichneten oder Niedergeschriebenen vielmehr eine Parallelwelt, die Ausdruck seines Inneren ist. Das korrespondiert präzise mit der Wesensart ostasiatischer Schriftkunst, die ja keineswegs bloß Kalligraphie, also festgelegten Regeln unterworfene „Schönschreibkunst“ ist, sondern dem Ausdruck der Persönlichkeit des Schreibenden durch die Form der Schrift höchste Priorität einräumt.

Konventionen entstanden im Lauf der Jahrhunderte natürlich auch auf dem Gebiet der Schreibkunst. Diese wiederum zu durchbrechen, waren die Zen- (chin. Chan-) Mönche angetreten, deren Ziel es war, zur Erleuchtung zu gelangen, indem sie sich der Zwänge konventionellen Denkens entledigten. Einigen dieser Meister, vornehmlich japanischen Zen-Mönchen des 18. Jhs. wie zum Beispiel Jiun Onkô (1718-1804), aber auch den japanischen Nachkriegs-Avantgardisten wie Inoue Yûichi (1916-1985) steht der Künstler besonders nahe.

Frei von der Last der Traditionen, mit denen ein Schriftkünstler in Ostasien in aller Regel aufwächst, gestattet sich Thomas Baumhekel ein unbefangenes Herangehen, das zum Großteil den Reiz seiner Arbeiten ausmacht. Er verzichtet auf das übliche ostasiatische, saugfähige Papier und schreibt in der Mehrzahl der Fälle auf große, weiße Zeichenpapierbögen. Bei früheren Blättern trug er die Tusche oft so trocken auf, dass die Schriftzeichen am Ende der Striche wie zerbrochenes Holz ausfasern. Für die jüngeren Arbeiten verwendete der Künstler eine Tuschemischung, die nicht zusammenfließt, sondern den Linien eine Binnenstruktur verleiht, die die Strichfolge und den Schreibprozess auch für den Laien nachvollziehbar machen, womit das zeitliche Element der Arbeit hervorgekehrt wird. Auch die Maserung von Holz bietet sich als Assoziation zu diesen Strukturen an. Gelegentlich wirken die Striche wie zusammengenagelte Bretter und schlagen so den Bogen zu jenen Arbeiten, für die Treibholz oder andere hölzerne Fundstücke als Malgrund Verwendung finden. Damit gewinnen die Schriftwerke eine neue Form der Körperlichkeit oder entwickeln sich ganz ins Skulpturale. Bei aller expressiven Kraft haben die Zeichen von Thomas Baumhekel nichts Elegantes, Geschmeidiges oder Gefälliges. Eine gewisse Affinität zum Exotischen geht hier eine besondere Verbindung mit urwüchsiger Bodenständigkeit ein.

Text: Uta Rahman-Steinert